Die Beschwerdeführerin (die Wahlpartei STAČILO!) erhielt 4,99 % Stimmen bei den Wahlen zur Regionalversammlung von Liberec am 20. und 21. September 2024. Ihr fehlten neun Stimmen, um 5 % Stimmen zu erhalten und in die Stichwahl einzuziehen. Die Beschwerdeführerin beantragte die Feststellung der Ungültigkeit der Wahl der Kandidaten für den Rat, entweder aller Kandidaten oder der Nachwahlen, oder aber der Ungültigkeit der Wahl selbst. Sie legte sieben eidesstattliche Erklärungen von Wählern vor, in denen sie Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung der Stimmen behauptete, und forderte das Gericht auf, die Stimmen in allen Wahlbezirken neu auszuzählen, oder zumindest in denjenigen, in denen die Beschwerdeführerin fünf oder weniger Stimmen erhalten hatte.
Das Landgericht wies die Klage mit dem angefochtenen Beschluss zurück. Es kam zu dem Ergebnis, dass die vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen kein hinreichend gewichtiges Beweismittel darstellten, um die Vermutung der Richtigkeit des festgestellten Wahlergebnisses zu widerlegen. Nur eine der eidesstattlichen Erklärungen bezog sich auf eine nicht berücksichtigte Stimme, die anderen auf Vorzugsstimmen. Das Landgericht verwies auch auf die wesentliche Rolle der Bezirkswahlausschüsse bei der Sicherstellung der rechtmäßigen Durchführung der Wahl und der Ermittlung des Wahlergebnisses. Die Beschwerdeführerin hat in einige der Kommissionen keine Mitglieder entsandt, so dass es für sie schwierig war, einen konkreten Verstoß gegen das Wahlgesetz glaubhaft zu machen. Selbst wenn alle Unregelmäßigkeiten gemäß den eidesstattlichen Erklärungen nachgewiesen würden, hätte dies keinen Einfluss auf das Gesamtergebnis der Wahlen. Die Behauptungen über Unregelmäßigkeiten in anderen Bezirken wurden von der Beschwerdeführerin nicht belegt. Der Beschwerdeführer legte daraufhin Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof ein.
Die Erste Kammer des Verfassungsgerichts (Berichterstatter Tomáš Langášek) gab der Verfassungsbeschwerde statt und hob den angefochtenen Beschluss des Bezirksgerichts Ústí nad Labem - Zweigstelle Liberec vom 22. Oktober 2024, Nr. 64 A 5/2024-100, auf, weil er das Recht des Beschwerdeführers auf gerichtlichen Rechtsschutz nach Artikel 36 Absatz 1 der Charta der Grundrechte und Freiheiten verletzte.
Der Verfassungsgerichtshof teilte nicht die Schlussfolgerungen des Landgerichts in Bezug auf die sieben vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen. Eine von ihnen bezog sich auf eine nicht für den Beschwerdeführer gezählte Stimme und sechs weitere auf eine nicht als Vorzugsstimme gezählte Stimme. Diese eidesstattlichen Erklärungen, deren Wahrheitsgehalt nicht angezweifelt wurde, waren nach Ansicht des Verfassungsgerichts ein hinreichend gewichtiges Indiz, um die Richtigkeit der erklärten Wahlergebnisse in den betreffenden Wahlkreisen in Frage zu stellen. In Anbetracht der geringen Stimmenzahl, mit der die Klägerin die Fünf-Prozent-Hürde für das Weiterkommen in die Stichwahl verfehlte, waren sie auch geeignet, die Ergebnisse auf der Ebene der gesamten Region Liberec mittelbar in Frage zu stellen.
Der Verfassungsgerichtshof stimmte mit dem Wahlgericht überein, dass es nicht ausreichen würde, dem Antrag stattzugeben, wenn nur die Behauptungen der Wähler in den eidesstattlichen Erklärungen bewiesen würden. In diesem Fall hätte der Antragsteller eine Stimme mehr, und die Vorzugsstimmen hätten keinen Einfluss auf das Wahlergebnis hinsichtlich der Sitzverteilung zwischen den zur Wahl stehenden politischen Parteien, Bewegungen und deren Koalitionen sowie auf die Anwendung der 5 %-Wahlklausel. Mit den eidesstattlichen Erklärungen sollten jedoch nicht nur die darin genannten konkreten Unregelmäßigkeiten nachgewiesen werden, sondern auch, dass die Wahlausschüsse in den betreffenden Bezirken bei der Auszählung der Stimmen nicht korrekt vorgegangen sind. Das tatsächliche Ausmaß ihres Fehlverhaltens hätte vom Landgericht überprüft werden müssen. Mit anderen Worten: Wenn eine bestimmte Kommission bei der Auszählung einer Stimme einen Fehler gemacht hat, kann sie auch bei der Auszählung anderer Stimmen einen Fehler gemacht haben, und ebenso kann die Nichtauszählung einer Vorzugsstimme darauf zurückzuführen sein, dass die Stimme für die Beschwerdeführerin selbst nicht gezählt wurde.
Die eidesstattlichen Erklärungen könnten nicht die Grundlage für eine Neuauszählung in allen Bezirken der Region Liberec sein, auch nicht in denen, in denen der Beschwerdeführer fünf oder weniger Stimmen erhalten hat. In Bezug auf die Ergebnisse aus diesen Bezirken haben sie keine Beweiskraft. Die vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen waren jedoch eine ausreichende Grundlage für die Prüfung der Wahlunterlagen aus den Wahllokalen, auf die sie sich unmittelbar bezogen. Und angesichts der geringen Stimmenzahl, die der Beschwerdeführer zur Überwindung der 5 %-Wahlhürde erhalten hatte, konnte nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass eine solche Überprüfung nicht zu einer erfolgreichen Wahlbeschwerde führen konnte.
Im Allgemeinen gilt für die Ergebnisse einer Wahl die Vermutung der Korrektheit. Ficht der Antragsteller sie jedoch durch eine glaubwürdige eidesstattliche Erklärung eines Wählers an, dass seine (Vorzugs-)Stimme nicht gezählt wurde, und macht er glaubhaft, dass das fehlerhaft ermittelte Wahlergebnis in einem Wahllokal das Gesamtergebnis der Wahl, die Wahl oder die Wahl eines Kandidaten grob beeinflusst haben könnte, so ist es Aufgabe des Wahlgerichts, anhand der Wahlunterlagen festzustellen, ob der Bezirkswahlvorstand in dem Wahllokal, in dem der Wähler gewählt hat, bei der Auszählung der Stimmen das Gesetz beachtet hat.
In dem Verfahren vor dem Landgericht als Wahlgericht habe der Beschwerdeführer ausreichende Beweise vorgelegt, um die Vermutung der Richtigkeit der festgestellten Wahlergebnisse zu widerlegen. Das Landgericht hätte daher die Wahlunterlagen aus den fünf von diesen Beweisen unmittelbar betroffenen Bezirken prüfen müssen. Dadurch, dass das Landgericht dies unterlassen habe, habe es das Recht des Klägers auf Rechtsschutz verletzt.
Das Urteil des Verfassungsgerichts, Fall Nr. I. ÚS 2931/24, ist abrufbar unter hier
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